Ein weit verbreitetes Argument für die Kastration bzw. Frühkastration von Hündinnen ist die Vorbeugung von Mammatumoren. Doch ist der Einfluss einer Kastration vor der ersten Läufigkeit tatsächlich so erheblich?

Eine Untersuchung in den USA zeigte, dass durch das Frühkastrieren von Hunden eine Vielzahl von gesundheitlichen Problemen auftreten können.

Frühkastration bedeutet die Entfernung von entwicklungswichtigen Hormonen, bevor Körper und Verhalten ausgereift und erwachsen sind. Das vorbeugende Entfernen der primären Geschlechtsorgane kam als Mode aus den USA nach Europa; dort wird der Großteil der Hunde kastriert, bevor sie ein Jahr alt sind. Was auch einigen Tierärzten in USA schon lange ein Dorn im Auge war.

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Etwa dem Tierarzt Ben Hart, der mit seinen Mitarbeitern die Daten von 759 Retriever-Hunden untersuchte und bestätigte, das frühkastrieren keinesfalls vor Krebs schützt, sondern eine breite Palette von Gesundheitsproblemen nach sich ziehen kann.
Damit trat er eine gewaltige Lawine los.

Seine Untersuchungen zeigten, dass doppelt so viele der frühkastrierten Rüden unter Hüftgelenksdysplasie litten als intakte Rüden (zehn vs. fünf Prozent).
Im Gegensatz zum Fehlen der Kreuzbandruptur (Kreuzbandriss) bei unkastrierten (intakten) Hündinnen und Rüden, zeigten acht Prozent der frühkastrierten Hündinnen und fünf Prozent der frühkastrierten Rüden dieses Problem.
Letztere entwickelten auch dreimal häufiger (zehn Prozent) Lymphdrüsenkrebs.

Mastzellenkrebs trat bei intakten Hündinnen nicht auf, betraf aber sechs Prozent jener Hündinnen, die nach Vollenden ihres ersten Lebensjahrs kastriert wurden. Und HSA, ein bestimmter Blut-(gefäß)krebs, trat bei diesen Hündinnen viermal häufiger auf (acht Prozent) als bei intakten.

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Fazit:

Frühkastration schädigt die Gesundheit, und auch die spätere Kastration ist insbesondere bei Hündinnen problematisch.

In einer wissenschaftlichen Studie der Universität Brno (Tschechien) wurden 17.053 Hündinnen untersucht, darunter befanden sich 214 Hündinnen mit einem Mammatumor (gut- und bösartige Tumore wurde zusammengerechnet). Das entspricht 1,25%, also kann hier glücklicherweise nicht von einer häufigen Erkrankung gesprochen werden.

Die sog. Bielefelder Kastrationsstudie von Dr. Gabriele Niepel (2002) zeigt ähnliche Ergebnisse.
Bei nichtkastrierten Hündinnen erkranken zwischen 1,98 und 2,8 (max. 18,6) von 1.000 Hündinnen (je nach Alter und Rasse), das entspricht einem Prozentanteil von 0,2 bis max. 1,8%.

Unterscheidung nach Kastrationsalter:
Frühkastrierte Hündinnen haben demgegenüber ein Risiko von 0,0093%, nach der ersten Läufigkeit kastrierte Hündinnen
tragen ein Risiko von 0,1488%.
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Eine der umfangreichsten Untersuchungen zu dem Thema erschien in „Evaluation of the risk and age of onset of cancer and behavioral disorders in gonadectomized Vizslas (Risiko und Erkrankungsbeginn von Krebs und Verhaltensstörungen bei kastrierten Vizslas)“. In dieser im Februar 2014, im angesehenen Journal of the American Veterinary Medical Association veröffentlichten Studie, greift Dr. Christine Zink (DVM, PhD, ACVP, director of the Department of Molecular and Comparative Pathobiology at the Johns Hopkins School of Medicine) auf die Daten von 2.500 (!) ungarischen Vorstehhunden (Magyar Vizsla) zurück. In dieser Studie wird deutlich, dass kastrierte Tiere beiderlei Geschlechts ein teilweise um ein mehrfaches erhöhtes Risiko aufwiesen, an bestimmten Krebsarten (Lymphosarkom, Hämangiosarkomen, Mastzelltumore) zu erkranken, und das auch noch zu einem deutlich früheren Zeitpunkt als intakte Hunde.

Auch bestimmte Verhaltensstörungen, z.B. die Angst vor Gewittern, kamen bei kastrierten Hunden deutlich häufiger vor.

Besonders erschreckend finde ich, dass eine Kastration fast sicher das Auftreten von Hämangiosarkomen, den berüchtigten Milztumor, fördert. Mit diesem extrem bösartigen und gefährlichen Tumor habe ich es bei älteren Hunden häufig zu tun.

Andere Studien belegen, dass das Risiko für die Entwicklung eines Osteosarkoms (Knochenkrebs) für kastrierte Hunde um das drei- bis vierfache erhöht ist. Selbst die Datenlage zur Verhinderung von Gesäugetumoren durch die Kastration steht unter Beschuss. Und bösartige Prostatatumoren beim Rüden treten bei Kastraten nicht seltener, sondern häufiger auf!
Insgesamt wird die erhöhte Anfälligkeit für Tumorerkrankungen aktuell mit einer durch den Wegfall der Geschlechtshormone zusammenhängenden Beeinträchtigung des Immunsystems in Zusammenhang gebracht. Dafür spricht auch, dass bei kastrierten Hunden eine höhere Infektanfälligkeit nachzuweisen ist.

Bedauerlicherweise kastrieren viele Tierärzte im Auftrag ihrer Kunden weiterhin und vollkommen ungehemmt Hündinnen und Rüden ohne dass eine tatsächliche Indikation vorliegt. Das dies nicht nur ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz darstellt, sondern häufig auch mit erheblichen Leiden für das Tier verbunden ist, bleibt vollkommen unberücksichtigt.

Die unkontrollierte Vermehrung von Hunden kann problemlos unterbunden werden, wenn Hündinnen, während sie läufig sind, von nichtkastrierten Rüden ferngehalten werden. Somit ist die Verhinderung einer Vermehrung keine Indikation. Ebenso wenig lassen sich durch die Kastration die häufigsten Verhaltensprobleme bequem wegoperieren

Eine Indikation zur Kastration einer Hündin liegt z.B. dann vor – wenn sie zu erheblichen Scheinschwangerschaftssignalen neigt, bei bestimmten hormonbedingten Fellschäden bzw. bei Erkrankungen der Eierstöcke, der Eileiter und der Gebärmutter.

Eine Indikation zur Kastration eines Rüden liegt z. B. dann vor – wenn dieser unter einen übersteigerten Sexualtrieb leidet. Dies bedeutet: Der Rüde läuft in Anwesenheit von Hündinnen nahezu andauernd mit ausgefahrenem Penis herum, hechelt unablässig und nutzt jede ihm sich bietende Gelegenheit, auch die nicht läufigen Hündinnen zu belästigen, so sollte man über eine Kastration nachdenken. Und zwar nicht, weil man selber davon genervt ist, sondern weil in diesem Fall davon auszugehen ist, dass der Rüde wirklich Leidensdruck hat. Man sollte jedoch nicht erwarten, dass sich das Verhalten sofort ändert. Hopkins (1976) haben in ihrer Studie herausgefunden, dass im Falle der Rüden, bei denen die gewünschte Veränderung eintrat, sich diese Veränderung nur bei der Hälfte bald nach der Kastration zeigte, bei der anderen Hälfte kam es zu einer schrittweisen Abnahme über einige Zeit hinweg. Bedenkt man, dass der Testosteronspiegel innerhalb von sechs bis acht Stunden nach der Kastration auf kaum noch messbare Werte sinkt (Hart/Hart, 1991), so wird allein daran deutlich, dass Testosteron offenbar nicht die alleinige Einflussgröße auf das Verhalten der Rüden ist!

Fazit:

Hunde mit dem Skalpell sozial kompatibel machen zu wollen, ist nicht nur ethisch, sondern auch gesundheitlich problematisch. Es gilt im Umgang mit Tierärzten jenes Prinzip, welches mündige Patienten auch im Umgang mit den eigenen Ärzten pflegen: schlaumachen, fragen, eine zweite und falls nötig eine dritte Meinung einholen und erst dann in Ruhe entscheiden.

Leider klären immer noch zu wenige Tierärztinnen und Tierärzte die Hundehalter über oben genannte Umstände auf oder verweisen auf die Alternative, einer Semikastration (Technik der Halbkastration).

Vorteile bei dieser Methode der Kastration:
Die Hündin hat noch einen hormonellen Zyklus und der Vorteil der Sexualhormone bleibt erhalten (Stressreduktion, keine Hormonschwankungen).

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Rechtliche Einschränkung

Nach § 6 Tierschutzgesetz fällt die Kastration von Hunden (männlichen und weiblichen)  unter das Amputationsverbot und darf nur bei Vorliegen von medizinischen Gründen vorgenommen werden.

Der Wunsch des Tierbesitzers ist dafür nicht ausreichend, und eine nur aus Bequemlichkeit vorgenommene Kastration damit illegal!

 


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